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Neues von Chury und Philae - TEIL I

Seit dem unsanften Aufsetzen des Kometenlanders Philae [1] auf der Oberfläche des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko ("Chury") [1] sind viele Monate vergangen.

Inzwischen wurde Chury aktiver und wird weiter von der Kometensonde Rosetta [1] umkreist, wohingegen sich Philae kurz nach ihrer Landung in Schweigen hüllte und erst Mitte Juni wieder mit Rosetta kommunizierte.

Im Folgenden möchten wir Sie insbesondere im Hinblick auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Kometen Chury auf den neuesten Stand bringen.

(I) Ursprung und Aufbau von Kometen

Die allgemeine Auffassung zur Entstehung und dem Ursprung von Kometen ist die Folgende:

Kometenkerne sind eisige Planetesimale [1], die im Sonnensystem ausserhalb der sog. Schneelinie [1] entstanden. Die atomare und molekulare Zusammensetzung der Kometen weist auf das primordiale [1] Material hin, aus dem sich die Körper des Sonnensystems gebildet haben. Der Komet Chury ist insbesondere im Hinblick auf sein geringes Alter interessant, d.h. er besitzt "frisches" Material, das wahrscheinlich seine ursprüngliche Zusammensetzung widerspiegelt.

Die Bildung der eisigen Planetesimale erfolgte entweder durch (1) die sog. Akkretion (Aufsammeln) [1] oder (2) das Zusammenbacken von gravitativ instabilen Objekten im solaren Urnebel [1] (Abb. 1). Mithilfe des letztgenannten Vorganges können wahrscheinlich Planetesimale mit Größen von 10-1.000 Kilometern gebildet werden.

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Abb. 1 Künstlerische Darstellung von ersten größeren Objekten im solaren Urnebel.
© scienceclarified

 

Unabhängig von der genauen Entstehungsgeschichte steht fest, dass Chury bereits im sehr frühen Sonnensystem geboren wurde. Allerdings steht nicht fest, wo genau Chury entstanden ist. Wahrscheinlich entstand er nicht im Bereich der großen Planeten des Sonnensystems. Vielmehr bildete sich Chury - und andere Kometen - eher ausserhalb der Planeten, im sog. transplanetaren Bereich des Sonnensystems innerhalb einer massereichen Scheibe aus zahlreichen Planetesimalen.

(a)      Umlaufbahn und Erosion

Thermo-physikalische Modelle haben ergeben, dass Chury durch seine Aktivität während seiner vorangegangenen Umläufe Teile seiner Oberfläche verloren hat. Dabei handelt es sich um Verluste im Bereich von einigen Hundert Metern. Diese Annahme stützt sich unter anderem auf das Verhalten des Kometenperihels [1] während der letzten Umläufe, das zur derzeitigen, nahe an der Sonne gelegenen Umlaufbahn von Chury geführt hat.
Die Veränderung der Periheldistanz führte Chury einige Male in große Sonnennähe und trug zur Erosion der Kometenoberfläche bei [3].

Es gibt Anzeichen dafür, dass sich Chury in der Vergangenheit lange Schlafperioden erlebt hat - ähnlich dem Kometen 2P/Encke [1]. Daher könnte es sich bei Chury dynamisch gesehen tatsächlich um einen relativ jungen Kometen handeln.

Wahrscheinlich wurde ein größerer Teil von Churys Kometenoberfläche durch vorangegangene Aktivitätsphasen erodiert. Die Erosionsphasen könnten die komplexe Oberflächenstruktur des Kometen entscheidend beeinflusst haben, insbesondere im äquatorialen und südlichen Hemisphärenbereich. Die kleinskaligen Oberflächendetails des Kometen sind wahrscheinlich jungen Ursprungs [3].

In der jüngeren Vergangenheit des Kometen Chury wurde dessen Bahn mehrmals durch die Annäherung an den Planeten Jupiter [1] geändert, beispielsweise im Jahr 1959 (größte Annäherung 0,05 AE [1]) und im Jahr 1912. Die Annäherung im Jahr 1959 beeinflußte die Bahn von Chury nachhaltig.

Die sog. große Halbachse [1] seiner Bahn verringerte sich von rund 4,3 AE auf 3,5 AE und die Periheldistanz [1] von 2,7 AE auf 1,3 AE [4]. Dabei wurde die Kometenbahn exzentrischer und liegt nunmehr näher an der Ekliptik [1] (Änderung der Bahnneigung von 41° auf 28°).

Dies könnte die in der Vergangenheit liegenden oben erwähnten Schlafperioden des Kometen mit geringer Aktivität erklären und die Theorie einer relativ unveränderten Kometenoberfläche seit ihrer Entstehung stützen [4].

(b)      Entstehung

Die keulenartige Form von Chury gibt Hinweise auf die Entstehung des Kometen. Berechnungen, die auf der Form der Rotationsachse [1] und einer homogenen Zusammensetzung des Kometen basieren, zeigen, dass Erosion alleine nicht für das Aussehen von Chury verantwortlich sein kann.

Simulationen
Wahrscheinlich deutet die Keulenform des Kometen eher auf die Herkunft als Doppelkomet hin [3]. Eine 3-dimensionale Simulation [6] von Wissenschaftlern der Universität Bern [1] konnte die Bildung der Strukturen -wie man sie bei Chury beobachtet - durch eine Folge von Kollisionen und Verschmelzungsprozessen rekonstruieren (Abb. 2).

In der Simulation kollidieren zwei eisige Objekte mit jeweils einem Durchmesser von einem Kilometer. Die Kollision findet relativ langsam statt und entspricht etwa der Durchschnittsgeschwindigkeit eines Fahrrades. Die beiden betreffenden Objekte driften nach ihrer Kollision auseinander. Das kleinere Objekt hat durch die Kollision Spuren an seinem größeren Partner hinterlassen.

Nach der Kollision wird das kleinere Objekt langsamer. Nach rund 14 Stunden findet eine weitere Kollision der Körper etwa einen Tag nach der ersten Begegnung statt. Schließlich verschmelzen beide Objekte zu einem Objekt, das an den Kometen Chury oder den Kometen 9P/Tempel 1 [1] erinnert.

Diese Erkenntnisse sind das Ergebnis von rund 100 Simulationen [6], von denen jede einige Wochen Rechenzeit benötigte. Sie zeigen, dass die hauptsächlichen Strukturen von Kometenkernen (sog. Kometesimals [1]) durch eine paarweise Akkretion mit geringen Geschwindigkeiten erklärt werden kann.

Das Modell stimmt mit den niedrigen Dichten von Kometen überein. Die langsame Kollision während der Frühphase der Bildung von Planeten und Kometen führt zu keiner signifikanten Kompaktifizierung der Kometenkerne. Die Forscher [6] halten Kometenkerne für primordiale Überbleibsel der frühen Agglomeration dieser kleinen Körper.

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Abb. 2 Ausschnitt einer Simulation von kollidierenden Planetesimalen in der Frühphase des Sonnensystems. Nach der ersten Kollision driften die beiden Objekte auseinander und nähern sich erneut an, um schließlich miteinander zu verschmelzen. [6]

 

Beispiele für mögliche Doppelkometen sind die Kometen 1P/Halley, 19P/Borelly und 103P/Hartley 2 [1]. Die Form von Chury ist aussergewöhnlich, da die beiden Keulen keine parallelen Achsen besitzen; vielmehr stehen die Achsen der jeweiligen Keulen von Chury nahezu senkrecht zueinander.

Wahrscheinlich stellt diese Art Doppelkometen etwa 10-20 Prozent aller erdnahen Asteroiden (NEA) [1], Trojaner [1] und Trans-Neptun Objekte (TNA) [1].

(c)      Oberflächenstruktur

Die Analyse zweier größerer Oberflächenbereiche, Seth [1] und Hathor [1], zeigt eine deutliche Schichtung der Kometenoberfläche, die wahrscheinlich bis in Tiefen von einigen Hundert Metern reicht.

Die Region Seth zeigt zahlreiche halbplanare Ebenen, währendem die in seiner Nähe befindliche Hathor-Struktur eine rund 900 Meter hohe nahezu staubfreie Klippe umfasst, an der fleckenartige weiße Strukturen mit Durchmessern von 10-30 Metern sichtbar sind; dabei könnte es sich um sublimierende [1] Eisstrukturen handeln (Abb. 3a und 3b).

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Abb. 3a Oberflächenregionen des Kometen Chury.
Die Hathor-Region befindet sich auf der in der Aufnahme gezeigten rechten Hälfte
des Kometen. Hathor umfaßt eine hohe Klippe (Pfeil).
© ESA/Rosetta for OSIRIS Team

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Abb. 3b Detailaufnahme der Hathor-Region.
Die Hathor-Region umfaßt eine hohe Klippe, an der helle weißliche Flecken sichtbar
sind. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um sublimiertende Eisstrukturen.
© ESA/Rosetta for OSIRIS Team

 

(d)      Doppelkomet

Die geomorphologische Struktur [1] von Chury deutet darauf hin, dass der Komet durch eine Kollision und Verschmelzung zweier unterschiedlicher Objekte entstanden ist. Die Porosität [1] und die Menge der flüchtigen Materialien auf der Kometenoberfläche stützen diese Theorie.

Chury könnte das Ergebnis einer Kollision sein, bei der zwei Planetesimale mit geringen Geschwindigkeiten aufeinandergeprallt und verschmolzen sind. Wahrscheinlich fand diese Kollision bereits in den frühen Stadien der Entwicklung der Scheibe des Planetensystems statt. Das bedeutet, Churys Strukturen gehen auf die Era der Bildung von Planetesimalen zurück und haben sich seitdem nur wenig verändert [3].

Eine alternative Theorie geht von der Akkumulation von Fragmenten aus, die durch einer enormen Kollision mindestens eines größeren mit anderen Planetesimalen erfolgt ist [3] (Abb. 4).

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(e)      Kometenkoma

Der sog. ALICE-Spektrograph [1] der Kometensonde Rosetta untersuchte Chury im ultravioletten Spektralbereich (UV) [1]. Die Beobachtung von Chury innerhalb der ersten vier Monate nach der Ankunft von Rosetta aus Entfernungen zwischen 10-80 Kilometern (August-November 2014) ergab, dass die Moleküle [1] in der Nähe der Kometenoberfläche in zwei Schritten aufgebrochen werden.

Im ersten Schritt trifft ein UV-Photon [1] des Sonnenlichtes auf ein Wassermolekül [1] aus der Kometenkoma und ionisiert [1] es. Dabei wird ein energiereiches Elektron [1] freigesetzt. Dieses Elektron trifft auf ein weiteres Wassermolekül aus der Kometenkoma und bricht es in zwei Wasserstoffatome [1] sowie ein Sauerstoffatom [1] auf. Die dabei energetisch "aufgeladenen" Atome strahlen ein UV-Photon ab, das von ALICE beobachtet wurde.

In ähnlicher Art und Weise bricht ein Elektron ein Kohlendioxid-Molekül [1] in dessen Bestandteile auf, was ALICE ebenfalls beobachten kann.

Mithilfe der von ALICE gesammelten Daten können die Forscher die Position und die Struktur der Wassermenge ermitteln, die aus der Oberfläche von Chury heraustritt [5]. Während der Messreihe fand der Austritt des Wasserdampfes vor allen Dingen im schmalen Halsbereich [1] des Kometen statt, der die beiden keulenartigen größeren Teile des Kometen verbindet. Der Ausstoß der Wassermengen fand erstaunlicherweise relativ kontinuierlich statt.

(f) Magnetfeld

Bereits im April stellten die Forscher mithilfe von Messungen von Rosetta und Philae während der Landephasen fest, dass Chury kein Magnetfeld besitzt. Falls das Material der Kometenoberfläche magnetisiert ist, muss die entsprechende Skala weniger als einen Meter betragen.

Bisher erwies sich die Messung des Magnetfeldes von Kometen als sehr schwierig, da man sie nicht in unmittelbarer Nähe der Kometen vornehmen konnte.

Falls Kometen tatsächlich kein magnetisiertes Gestein enthalten, deutet dies darauf hin, dass in der Frühphase des Sonnensystems, in dem sich die meisten Kometen gebildet haben, ein Magnetfeld keine Rolle beim Zusammenbacken von Brocken (mit Durchmessern von weniger als einem Meter), aus denen sich später Kometen bildeten, gespielt hat.

 

Wir werden Sie auf unserer Homepage weiter über Interessantes und Neues zu Chury, Rosetta und Philae informieren.

 

Falls Sie Fragen und/oder Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter kontakt@ig-hutzi-spechtler.eu

 

Ihre
IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter

 

Quellenangaben:

[1] Mehr Information über die ESA, Rosetta und Philae
http://www.esa.int/ESA

[2] Mehr über Rosetta und die Annäherung an Chury auf unserer Webseite
http://www.ig-hutzi-spechtler.eu/aktuelles__rosetta.html
http://www.ig-hutzi-spechtler.eu/aktuelles.html

[3] Rickman, H., et al., A&A (May 27, 2015)

[4] Maquet, L., A&A (April 15, 2015)

[5] Feldman, P., et al., A&A (June 2, 2015)

[6] Jutzi, M., Asphaug, E., Science (June 19, 2015)

 

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